Interview mit Elisabeth Wallner, M.A. über ihre Masterarbeit:


"How fair ist Fairtrade?
Fairtrade and justice, analysed by Amartya Sen´s 'The Idea of Justice'"

1) Was bedeutet für Dich „fair“?

Fair ist immer mit Gerechtigkeit zusammen zu denken. Mit Blick auf Fairtrade heißt fair für mich, an einem menschwürdigen Leben für die Arbeiter*innen und Bauernfamilien im globalen Süden mitzuarbeiten.

2) Was ist unfair?

Arbeit von der man nicht leben kann, von der man den Kindern keine Ausbildung gewähren kann, Arbeit, die kein selbstbestimmtes Leben ermöglicht, die nicht die Produktionskosten deckt. Unfair ist auch, ausbeuterische Weltmarktstrukturen aufrechtzuerhalten und die Marktkonzentration von transnationalen Handelskonzernen zu stützen.

3) Hängen Fairness und Gerechtigkeit zusammen?

Fairness stützt Unparteilichkeit hinsichtlich gleicher Chancen und gleicher Möglichkeiten. Man darf dabei nicht nur auf den eigenen Umkreis schauen, sondern muss die Verhältnisse auf globaler Ebene wahrnehmen.

4) Ist gerechter Handel auf der Regionalebene heute überhaupt noch möglich?

Die Globalisierung verbindet uns heute derart miteinander, dass die Sicht, die sich auf nationale Grenzen bezieht, zu kurz greift. Wir stehen morgens auf, trinken eine Tasse Kaffee und haben damit schon den Kaffeebauern aus Lateinamerika am Tisch. Man sieht das auch im Moment am Umgang mit Flüchtlingen. Hier sind sehr viele Ungerechtigkeiten im Spiel und trotzdem nehmen viele Menschen es oft nicht so wahr.

5) Die Studie „Ausgepresst“ von Global 2000 stellt dar, in welcher Verfassung der Markt mit Orangen ist und wie er von drei Großkonzernen bestimmt wird.

Hier wird vor Augen geführt, wie globale Marktwirtschaft durch Monopole zum Erliegen gebracht wird. Dies gilt nicht nur für Orangen, sondern eigentlich für alle Güter, die Fairtrade zertifiziert. Es ist aber insgesamt ein Problem in unserem Wirtschaftssystem, dass kleine Unternehmen durch große Konzerne verdrängt werden. Besonders dramatisch ist das, wenn Rohstoffe aus Ländern des globalen Südens hergenommen werden, da es in diesen Ländern ohnehin schon viel Armut gibt.

6) Welchen Beitrag versucht Fairtrade in diesem Zusammenhang zu leisten?

Durch verschiedene Mechanismen Kleinbauernfamilien, die in Kooperativen organisiert sind einerseits, und lohnabhängig Beschäftigte, also Arbeiter*innen auf Plantagen andererseits, je nach Produktgruppe, im globalen Süden (Asien, Afrika und Lateinamerika) einen fairen Preis für ihre Produkte zu bezahlen. Der faire Preis setzt sich zusammen aus dem Mindestpreis und aus der Fairtrade-Prämie. Der Fairtrade-Mindestpreis ist als Sicherheitsnetz nach unten zu verstehen. Wenn der Weltmarktpreis höher ist, wird dieser bezahlt, wenn der Weltmarktpreis unter das Sicherheitsnetz absinkt, dann gilt der Fairtrade-Mindestpreis, d.h. es ist immer ein Preis garantiert, der die Produktionskosten deckt. Die Fairtrade-Prämie ist ein bestimmter Betrag, der je nach Produkt festgelegt ist, z.B. bei der Banane ist das 1 US-Dollar pro Kiste. Diese Prämie wird dann durch demokratische Abstimmung in Projekte für die Gemeinschaft investiert: eine Schule, Brückenbau, Krankenhaus, aber auch in produktivitätssteigernde Maßnahmen, etwa eine neue Verpackungsmaschine, etc. Dann gibt es noch weitere Fairtrade-Standards, wie das Verbot ausbeuterischer Kinderarbeit, das Verbot von bestimmten Pestiziden oder die Pflicht, Arbeiterrechte umzusetzen. Das alles wird unabhängig kontrolliert. Das soll fairen Handel sicherstellen und nicht nur den Handel, sondern auch die Fairness der gesamten Wertschöpfungskette. Das Ziel von Fairtrade ist dabei, dass es sich auf lange Sicht selbst abschafft, weil diese Arbeit aufgrund eines fairen Marktes nicht mehr erforderlich ist.

7) Welche Herausforderungen gibt es?

Es gibt viele Herausforderungen. Fairtrade agiert innerhalb eines sehr komplexen Wirtschaftssystems. Es ist eine große Herausforderung, Standards zu kreieren, die die Lebensverhältnisse der Produzent*innen im globalen Süden tatsächlich verbessern können und die in der Praxis auch anwendbar sind.

 

a) Entscheidungsprozesse

Es gibt den Vorwurf, dass Fairtrade koloniale Strukturen unterstütze, da Produkte im globalen Süden hergestellt, aber im globalen Norden verkauft werden. Dieses Bild ist sehr undifferenziert, da die Kaufkraft bestimmter Gruppen von Menschen z.B. in Südamerika ebenfalls da ist. Fairtrade agiert in einem Handelssystem, dass zwar gewisse Strukturen zu verbessern versucht, aber dieses trotzdem nicht völlig frei gestalten kann. Es geht darum, umsetzbare Lösungsansätze zu entwickeln.

Fairtrade nimmt diese Kritik ernst und versucht möglichst viele Stimmen in Entscheidungsprozessen miteinzubeziehen. So ist zum Beispiel entschieden worden, dass die Produzentennetzwerke (Asien, Afrika und Lateinamerika) 50 % der Stimmen in den wichtigen Entscheidungsgremien von Fairtrade bekommen. Zweitens sollen in den Ländern des globalen Südens Organisationen aufgebaut werden. Erst letzte Woche ist ein Office in den Philippinen und in Taiwan eröffnet worden, wo das Ziel ist, Waren von lokalen Fairtrade-Produzenten und Fairtrade-Produkte der Nachbarländer anzubieten.

b) Kooperation mit Großkonzernen?

Die Zertifizierung gilt für das Produkt, nicht für das Unternehmen, das in die Wertschöpfungskette eingebunden wird.

Eine große Herausforderung im Fairtrade-System ist, dass viele Bauern nur einen Teil der Rohstoffe zu Fairtrade-Bedingungen verkaufen können. Die Nachfrage ist nicht groß genug. Besonders beim Kakao ist das ein Problem, da werden nur etwa 30% zu fairen Bedingungen abgesetzt. Es ist also auch ein Vorteil, wenn ein transnationaler Konzern hier zum Abnehmer wird, und die Produzenten begrüßen das. Wichtig ist dabei zu betonen, dass, nur weil Fairtrade mit diesen Konzernen Handelsbeziehungen eingeht, nicht alles andere gutgeheißen wird, was diese Konzerne machen. Aber die Fairtrade-Standards wurden eingehalten.  

8) Welche Verantwortung tragen die KonsumentInnen?

Der faire Handel in Österreich hat sicher viel zu einer Bewusstseinsveränderung beigetragen. Die Glaubwürdigkeit des „Fairtrade“ Gütesiegels liegt in Österreich bei fast 90%, dieses Vertrauen ist sehr erfreulich. Es braucht natürlich Konsumierende, keine Frage. Es braucht aber vor allem Bürger, ein politisches Engagement, politischen Einsatz für faire Handelsstrukturen. Auf nationaler Ebene, und in der EU.

9) In wieweit war die Auseinandersetzung mit Amartya Sen für deine Arbeit relevant?

Die Lektüre von Sens Buch hat mir dabei geholfen, die Kritik an Fairtrade besser zu verstehen und mit den Herausforderungen umzugehen. Die Idee, dass es zur Gerechtigkeit kleine Schritte braucht.

Die wichtigsten Konzepte: Vergleich, Mehrfachbegründung (plural grounding), demokratische Prozesse der Abstimmung und einen erweiterter Rahmen, der Gerechtigkeitsfragen als globale Problemstellung zu begreifen lehrt.

10) Kapitel vier deiner Arbeit, wo Du Fairtraide als eine Initiative für Gerechtigkeit darstellst, scheint das Herzstück zu sein. Kannst Du kurz die wichtigsten Punkte zusammenfassen?

Fairtrade als Vergleich: Sen sagt, dass abstrakte Prinzipien in Gerechtigkeitsfragen nicht weiter helfen. Er optiert für eine pragmatische Lösung, die damit beginnt, eine Situation wahrzunehmen und die Lösungsoptionen, die zu mehr Gerechtigkeit führen, offenzulegen. Anhand eines Vergleichs der Handlungsoptionen gilt es dann, eine Entscheidung zu treffen. Auf Fairtrade übertragen bedeutet das, dass es zwar nicht immer möglich ist, die perfekte Lösung anzubieten, aber dass trotzdem Veränderungen herbeigeführt werden können, die den konventionellen Handel gerechter gestalten helfen. Auch das ist ein Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit.

Mehrfachbegründung: Sen gibt hier das Beispiel von drei Kindern und einer Flöte. Alle drei Kinder wollen die Flöte. Das erste Kind hat die Flöte hergestellt, das zweite Kind kann die Flöte spielen und das dritte Kind hat sonst gar kein Spielzeug. Welches Kind verdient die Flöte am meisten? Sen meint, dass sich die Menschen in dieser und ähnlichen Fragen nicht einigen werden, da die Begründungsstrategien, je nach Kontext, sehr unterschiedlich ausfallen werden. Der Punkt ist, dass verschiedene Sichtweisen und Wertvorstellungen vorgetragen werden sollen damit ausverhandelt werden kann, was die gerechtere Lösung ist.

Öffentliche Argumentation: Es soll demokratisch eine Entscheidung gefällt werden, was je nach Situation der richtige Schritt ist. Verschiedene Wertvorstellungen kommen zusammen, wichtig ist aber, dass eine Einigung gefunden wird, ein Kompromiss.


Elisabeth Wallner hat 2015  mit einer Masterarbeit das Studium der Internationalen Entwicklung abgeschlossen. Betreut wurde die Arbeit von Frau Univ.-Prof. MMag. Dr. Ingeborg Gabriel.

Die Fragen stellte Christoph Tröbinger.

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