Wirtschaft - Gemeinwohl - Glück.
Wirtschaftsethische Perspektiven interdisziplinär

Internationales Symposium | 9. - 11. April 2015 | Wien

Am Symposium „Wirtschaft-Gemeinwohl-Glück. Wirtschaftliche Perspektiven interdisziplinär“ stelllten renommierte Wirtschaftswissenschaftler und Ethiker alternative Ansätze vor und diskutieren diese.

Die Veranstaltung wird vom Institut für Sozialethik gemeinsam mit der Vereinigung für Sozialethik in Mitteleuropa und der Österreichischen Kommission Iustitia et Pax organisiert.

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Tomáš Sedláček: Kann die Menschheit glücklich sein? Ökonomisches Wachstum und Messias-Komplex

Foto: Christoph Tröbinger

Eröffnet wurde das Symposium durch einen Vortrag von Tomáš Sedláček, in dem er die Verbindung von Wirtschaft und Ethik innerhalb der Geistesgeschichte aufzeigte. Er begann seine Ausführungen nicht wie in der bekannten Publikation „Die Ökonomie von Gut und Böse“ (Hanser 2012) mit dem Gilgamesch-Epos, sondern mit den Schöpfungsbericht(en) der Bibel (Gen1; 2), anhand derer sich nach Sedláčeks Lesart zeigen lasse, dass der Mensch auch im Paradies nicht imstande war, mit Perfektion umzugehen. Das erste Gefühl Adams, von dem uns Gen 2 berichtet, so seine Ausführung, sei die Einsamkeit: Adam fühlt sich alleine im Paradies. Gott macht aus Adam also Mann und Frau. An diesem und anderen Narrativen verdeutlichte Sedláček, dass eine systemische Unterdrückung niemals tatsächlich an einem System festgemacht werden könne, sondern der Endlichkeit und der Imperfektion des Menschen selbst entspringe. Psychoanalytisch gesprochen sei das System, durch welches der Mensch unterdrückt wird, selbst wieder durch das Unterbewusstsein hervorgebracht, gleichsam seine Veräußerlichung. Entlang der Linie einer missverstandenen Systemkritik zeigte Sedláčeks, dass das Streben der Marktökonomie nach Wachstum und Vermehrung der Güter eine Engführung sei, indem er den hypothetischen Charakter dieses Strebens kritisierte, der in der Annahme eines Wachstums ad infinitum kulminiert. Stattdessen wäre es an der Zeit, so Sedláček, die Früchte der getanen Arbeit zu genießen und für eine gerechte Verteilung des Wohlstandes zu sorgen. Mit seinem Vortrag öffnete Sedláček verschiedene Problembereiche und gab Impulse, kritisch auf die Theorie der Marktwirtschaft zu reflektieren, um die Ethik in sie zu integrieren.

Ingeborg Gabriel: Wirtschaftsethik – quo vadis?

Foto: Christoph Tröbinger

In ihrem Einführungsreferat zu Beginn des zweiten Tages der Veranstaltung knüpfte die Veranstalterin des Symposiums, Ingeborg Gabriel, an die Ausführungen Sedláčeks an und steckte die Problemfelder ab: Die Ethik habe die Aufgabe und die Pflicht, der Wirtschaft mit ihren Forderungen lästig zu sein. Damit griff Gabriel zwei Motive auf: Einerseits den Philosophen Sokrates, der von den Athenern als eine Stechmücke denunziert wurde, weil er mit seinen Fragen eine Irritation darstellte; andererseits das Apostolische Schreiben des Papstes Franziskus Evangelii gaudium, indem er festhält: „Es ist lästig, wenn man von Ethik spricht, es ist lästig, dass man von weltweiter Solidarität spricht, es ist lästig, wenn man von einer Verteilung der Güter spricht, es ist lästig, wenn man davon spricht, die Arbeitsplätze zu verteidigen, es ist lästig, wenn man von der Würde der Schwachen spricht, es ist lästig, wenn man von einem Gott spricht, der einen Einsatz für die Gerechtigkeit fordert.“ (EG, 203). Auch hob Gabriel hervor, dass Ökonomie und Wirtschaft von Beginn an mit der Ethik in enger geistiger Verwandtschaft stehen. Erst in der technokratischen Dynamik der Moderne kam es zu einem Übergewicht der instrumentellen Vernunft, die nun nach einem Ausgleich verlangt. Das größte Übel sei Reichtum ohne Gerechtigkeit, dagegen hält Franziskus sein vierfaches Nein: Nein zur Wirtschaft der Ausschließung; Nein zur neuen Vergötterung des Geldes; Nein zu einem Geld, das regiert statt zu dienen; Nein zur sozialen Ungleichheit, die Gewalt hervorbringt.

Luigino Bruni: Gemeinwohl und zivile Tugenden: Die Zukunft der Zivilökonomie in Europa

Foto: Markus Andorf

Luigino Bruni zeigte in einem ideengeschichtlichen Rückgang auf den aristotelischen Begriff der Eudaimonia (guter Geist/Dämon) und dem lateinischen Konzept der felicitas publica deren Wert und Wichtigkeit für die gegenwärtige Debatte um relationale Güter auf. Eudaimonia werde zwar im Deutschen, wie auch im Englischen mit Glück bzw. happiness übersetzt, hat jedoch mit einem Verständnis von Glück, wie es Gegenstand der gegenwärtigen Glücksforschung ist, nach der Einschätzung Brunis nicht viel gemeinsam. Glück als Eudaimonia werde als ein Vollzug, eine bestimmte Aktivität gedacht, deren besonderer Wert in der Hervorbringung von Beziehungsgütern besteht. Die Pflege und Schätzung dieser Güter sorgt für ein Glücksempfinden, das Bestand hat, jenseits mathematisch eruierbarer Glücksgraphen. Den Wert wahrer Beziehungsgüter gegen Pseudoprodukte des Marktes zu verteidigen und eine soziale Vision des Marktes erneut in die Debatte einzubringen, darin sieht Bruni den entscheidenden Beitrag der Wirtschaftsethik zum Gemeinwohl.

Fred Luks: Zukunftsfähige Ökonomie? Über die Risiken und Nebenwirkungen von Glück, Gemeinwohl und Nachhaltigkeit

Foto: Markus Andorf

Fred Luks unternahm eine kritischen Blick auf die Verwendung verschiedener Begriffe. Es müsse, wenn über Ethik, Glück und Gemeinwohl in Wirtschaft und Ökonomie diskutiert werden soll, zunächst einmal bestimmt werden, was mit den Begriffen gemeint ist und ob sie nicht ideologieverdächtig sind. Ganz ähnlich wie bei der Debatte um Nachhaltigkeit (ein „Plastikwort“), ist nämlich prima vista nicht klar, was darunter zu verstehen sei, was zum Teil auch, so Luks, die übertriebene Emotionalität der Debatte erkläre. Parallel zur Diskussion um die Nachhaltigkeit, zeigte Luks „die Risiken und Nebenwirkungen“ auf, die eine Debatte ohne begriffliche Klärungen notgedrungen mit sich bringt: Sie bediene eine Sehnsucht nach einfachen Lösungen, werde emotional geführt und spirituell aufgeladen. Wenn der Wert der Diskussion darin bestehe, klären zu wollen, worin das Glück besteht und so ein Glücksimperialismus in Aussicht steht, dann läuft diese Gefahr, ihr Gegenteil zu bewirken. Stattdessen plädierte Luks in seinem Referat – Fred Sinowatz zitierend – dafür, den Mut zu haben, auf die Komplexität der Thematik hinzuweisen.

Wilfried Stadler: Nachhaltige Finanzwirtschaft und Wirtschaftsethik

Foto: Christoph Tröbinger

Wilfried Stadler (Nachhaltige Finanzwirtschaft und Wirtschaftsethik) wies in seinem Vortrag auf das Verhältnis zwischen Legalität und Legitimität hin, zwischen dem, was rechtlich erlaubt ist und was ethischer Sicht erlaubt sein soll. Da die Finanzmarktstabilität das oberste Ziel der Notenbankpolitik ist, verlange eine nachhaltige Finanzwirtschaft darin, dass sie nicht zulasse, dass aus Volatilität (Schwankungen im Finanzmarktsystem) eine Finanzkrise wird. Ausgehend von einem Ausdruck Hyman Minskys: „Stability breeds instability“ erläuterte Stadler die Problematik der Finanzkrise, indem er zwei Deutungsmuster ihrer Interpretation schilderte: a) Die Finanzkrise als inhärentes Geschehen, das immer wieder in der Geschichte der Wirtschaftssysteme passiert und b) die Finanzkrise als ein Reflex der moralischen Krise bzw. als Krise des wirtschaftlichen Denkens und Handelns. Wir haben es, so Stadler, mit einer systemischen Krise des Finanzmarktes zu tun, die weitere Finanzkrisen zu verursachen imstande ist. Unter den systemischen Faktoren, die die gegenwärtige Finanzkrise ausgelöst haben, wurde von Stadler der Konflikt zwischen der angloamerikanischen kapitalmarktorientierten und der europäischen bankenorientierten Finanzmarkttradition genannt. Seiner Einschätzung nach bedürfe das heutige Finanzsystem der Gestaltung durch neue Regeln, was in der Verantwortung der politischen Führungskräfte liege. Als Grundlage der verantwortlichen Marktwirtschaft wird die von Schasching verwendete „Triage“ des sachgerechten, menschengerechten und umweltgerechten Handelns erwähnt.

Peter G. Kirchschläger: Multinationale Konzerne und Menschenrechte

Foto: Christoph Tröbinger

Peter G. Kirchschläger problematisierte das Verhältnis trans- bzw. multinationaler Konzerne im Verhältnis zu den Menschenrechten, die zuerst einmal nationalstaatlich umgesetzt werden. In seinem Vorschlag plädierte Kirchschläger dafür, die Menschenrechte als ethischen Referenzpunkt für multinationale Konzerne einzuführen. Er stellte eine Disbalance zwischen Nationalstaaten und multinationalen Unternehmen bzw. Konzernen fest, die die Dringlichkeit des Problems ausmache. Um dieses Problem angehen zu können und die alleinige Verpflichtung der Umsetzung der Menschenrechte über die Nationalstaaten hinaus kontextbezogen auf die gesamte Gesellschaft zu übertragen, schlug er vor, den Blick auf die TrägerInnen der Rechte bzw. die Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu lenken. Aus dieser Perspektive ergäbe sich nicht ein Zuwachs an Verpflichtungen seitens der Staaten und Unternehmen, sondern eine Forderung nach wirksameren Durchsetzungsmechanismen bestehender Verpflichtungen.

Michaela Schaffhauser-Linzatti: "Kreativ oder alternativ"? Eine etwas andere Sichtweise auf Bilanzen und Unternehmensreporting

Foto: Christoph Tröbinger

Michaela Schaffhauser-Linzatti warf aus der Perspektive der Bilanzierung/Buchhaltung einen Blick auf das Thema Gemeinwohl und Glück. Bilanzen als Messinstrumente sowohl für volkswirtschaftliche als auch für Unternehmenserträge so zu gestalten, dass soziale und ökologische Externalisierungen möglichst vermieden werden, war das Hauptanliegen ihres Vortrages. Dazu stellte sie ein komplex entwickeltes Modell vor.

Podiumsdiskussion

In einer Podiumsdiskussion am Nachmittag des zweiten Veranstaltungstages diskutierten Alois Baumgartner (München), Martin Bartenstein (ehem. Österreichischer Wirtschaftsminister) und Erich Foglar (Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes) unter der Moderation von Paul Wuthe (Chefredakteur der Katholischen Presseagentur) zunächst die Begriffe des Titels der Tagung. Baumgartner stellte in seinem Statement eine Verbindung von Gemeinwohl und Solidarität her, in der das Gewissen einen entscheidenden Faktor bildet. Dass es eine ideologische Überformung von ethischen Begriffen immer schon gegeben hat, bedeutet nicht, dass man solche Begriffe nicht mehr verwenden soll. Man muss sie allerdings neu reflektieren. Der Kirche komme nach Baumgartner die Rolle zu, als Gewissen der Gesellschaft zu fungieren und ein kritisches Korrektiv gegen ideologische Missbräuche zu sein. Foglar nahm diese Überlegungen auf und sponn sie aus der Perspektive des Gewerkschaftsbundes weiter. Im Rückblick auf eine sieben Jahrzehnte andauernde Erfolgsgeschichte benannte er einige  Probleme und Krisen der Gegenwart des Sozial- und Wohlfahrtsstaates. Martin Bartenstein reflektierte den Gemein-wohlbegriff am Leitfaden der Entwicklung des Projektes der Europäischen Union und des wirtschaftlichen Erfolgs dieser Union aufgrund des Wohlstands, den sie gebracht hat.

Foto: Christoph Tröbinger

Georges Enderle: Wie kann Wirtschaftsehtik den Zusammenhalt einer Gesellschaft stärken?

Foto: Christoph Tröbinger

Für Georges Enderle soll die Wirtschaftsethik, die Frage nach dem Ziel des Wirtschaftens stellen. Dabei spielt die jeweilige Kombination von privaten und öffentlichen Gütern eine wesentliche Rolle. Nicht die Anhäufung von individuellen Reichtümern mache den Reichtum einer Gesellschaft aus, vielmehr stehen private und öffentliche Güter in einer Wechselbeziehung. Da der Mensch eher geneigt ist, sich für die privaten als für die öffentlichen Güter zu engagieren, besteht die Rolle der Ethik und Religion darin, ihn zur Schaffung von öffentlichen Gütern zu motivieren, ausgehend von der katholischen Sicht, dass der Mensch ein relationales Wesen ist, indem die Beziehungen zu dem Mitmenschen sowohl für die eigene Identität als auch für den Zusammenhalt der Gesellschaft konstitutiv sind.

Länderberichte

Länderberichte: Als abschließender Teil des Symposiums, haben eingeladene Professoren der Vereinigung für Sozialethik in Mitteleuropa (Stanisław Fel, Polen; Ivan Štuhec, Slowenien; Petr Štica, Tschechien; Alžbeta Dufferová, Slowakei; Marijana Kompes, Kroatien) mittels kurzer Länderberichte die sozial-wirtschaftliche Situation der einzelnen mitteleuropäischen Ländern präsentiert. 

Teilnehmer im Dekanatssitzungssaal der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien bei der Vorstellung der Länderberichte. Foto: Christoph Tröbinger